Noch bevor die 12-Jährige Mavie Noelle in ihrem eigenen Merchandise vor der Kamera turnt, erscheint ein Werbevideo, welches in keinem Bezug zum tatsächlichen Inhalt steht. Auch der auf der Videoplattform oben rechts platzierte Banner hat mit der Akrobatik-Performance der Mini-Influencerin wenig zu tun. Die interaktive Werbeanzeige ruft die User*innen zur Teilnahme an einem Gewinnspiel auf. Doch damit nicht genug – kurz nachdem die Schülerin die in ihrer Videobeschreibung verlinkten Handstandständer für 369 Euro vorgestellt hat, erscheint ein schmales Fenster im unteren Bereich des Videos. Hierbei handelt es sich um eine Overlay-Werbung, die auf eine externe Seite verweist und entweder automatisch verschwindet oder vom Nutzer an- beziehungsweise weggeklickt werden muss. Neben ihrem Online-Shop verlinkt das Mädchen mittels Affiliate-Links ihr Equipment, welches aus Laptop, Studiolampen und Kameras besteht. Die Produkte sind auf Amazon zu finden und haben einen Wert von über 2000 Euro.
Wie man sieht, lässt sich in ein 15-minütiges YouTube Video eine Menge Werbung integrieren, doch meist werden die kommerziellen Inhalte nicht als solche gekennzeichnet. Die Mini-Influencer*innen und vor allem deren Eltern verstoßen immer wieder gegen medien- und werberechtliche Vorgaben und führen ihre vorwiegend sehr junge Zielgruppe durch unzulässige Schleichwerbung in die Irre.
Mavie Noelle Familiy: Handstandstützen ausprobieren! | Werbeformen im Mini-Influencer-Video Mavie Noelle. YouTube, 12.02.2020, https://www.youtube.com/watch?v=bKp1miHjkKc&feature=youtu.be
Wie werden Kinder vor Werbung geschützt
Die von der Landesmedienanstalt für NRW herausgebrachte Studie Kinder und Onlinewerbung stellt fest, dass es vor allem jungen Kindern, die wenig Erfahrung mit dem Internet haben, schwer fällt, Onlinewerbung als kommerzielle Kommunikation zu erkennen. Damit die Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit von Kindern nicht ausgenutzt wird, gibt es den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) der Länder. Dieser verbietet direkte Kaufappelle an die junge Zielgruppe. Auch der 2015 erschienene Leitfaden der Medienanstalten, welcher sich an Influencer und Werbetreibende richtet, thematisiert die korrekte Trennung und Kennzeichnung von Werbung. Doch da der Staatsvertrag dem Prinzip der regulierten Selbstregulierung folgt und der Leitfaden eben nur eine Hilfestellung ist, erhält der Werbeanbieter großen Spielraum bei der Einhaltung des Jugendschutzes.
Verbraucher*innen haben jedoch die Möglichkeit, Verstöße gegen die Werbebestimmungen zu melden und zwar an die von Medienanstalten geschaffene Kommission für Jugendmedienschutz. (KJM). Die auf jugendschutz.net und programmbeschwerde.de eingegangenen Beanstandungen werden von der KJM unter anderem danach beurteilt, ob sie gegen die Vorgaben des JMStV und des Staatsvertrages für Rundfunk und Telemedien verstoßen. Die Umsetzung der Sanktionen, Verwaltungs- und Bußgeldbescheide obliegt am Ende der zuständigen Landesmedienanstalt.
Doch nicht nur die Länder versuchen Kinder vor unzulässiger Werbung zu schützen. Die gemeinnützige und internationale Bildungsinitiative Media Smart e.V. macht sich für die Förderung von Werbekompetenzen stark. Der Vereinsleiter Michael Haas sprach mit mir unter anderem über die zunehmend komplexere Werbewelt: „Über 11.000 Grundschulen in ganz Deutschland haben die von uns konzipierten Materialien eingefordert. Die hohe Nachfrage lässt mich annehmen, dass Pädagogen vor neuen Herausforderungen stehen und Orientierung benötigen.“ Auch der Jugendschutz kommt laut dem Medienpädagogen kaum hinter den neuartigen Werbeformen her.
„Wenn ihr nicht schreiben könnt, macht ein Rainbow-Emoji in die Kommentare“, ruft die achtjährige Ava in die Kamera. Die Mini-Influencerin hat auf YouTube 673.000 Abonnenten*innen. Durch diese hohe Reichweite hat sie die Möglichkeit, mit Werbeeinblendungen vor und während ihren Videos Geld zu verdienen. Doch laut JMStV sind Werbeunterbrechungen in der Mitte von Kindersendungen verboten.
Nicht nur mit Pre-Roll Werbeclips und In-Video-Anzeigen verstoßen die Kanalbetreiber gegen gesetzliche Richtlinien. Auch nicht gekennzeichnete Produktempfehlung gelten als Schleichwerbung, da hier das Werben für ein Produkt oder eine Dienstleistung unauffällig in den Inhalt integriert wird. Laut den Medienanstalten, muss die Produktplatzierung durch einen gleichwertigen Hinweis etwa „unterstützt durch Produktplatzierung“ dauerhaft gekennzeichnet werden.
Mit Scheinheiligkeit zum Grossverdiener
Die Realität zeigt uns jedoch etwas anderes – Influencer nehmen durch das Platzieren von Produkten Werbegelder entgegen, doch erscheinen durch ihre implizite Empfehlung unabhängig und glaubwürdig für die jungen Nutzer*innen.
Neben den erwähnten Waren und Dienstleistungen werden in die Videobeschreibung häufig auch Affiliate-Links eingebunden, welche die Zuschauer*innen beim Anklicken direkt zu den Online-Shops leiten. Auch hier nimmt der Influencer eine kommerzielle Rolle ein, denn sofern der User über den eingebetteten Link etwas online kauft, erhält er eine Provision vom Anbieter.
Über Apps wie Instagram, Snapchat oder Facebook haben Unternehmen ebenfalls verschiedene Möglichkeiten, werbliche Inhalte zielgruppengerecht zu präsentieren. Die auf den Plattformen am häufigsten genutzte Werbeform ist die gesponserte Meldung, welche zwischen den allgemeinen Inhalten angezeigt und mit dem Vermerk „gesponsert“ versehen wird.
Doch auch Werbung innerhalb der Beiträge sollte als kommerzieller Inhalt kenntlich gemacht werden, wozu auch Verlosungen und Gewinnspiele zählen. Sie gelten als eine Form der Werbung, da durch die vielversprechenden Aufrufe der Influencer das zu gewinnende Produkt besonders in den Mittelpunkt gestellt wird.
Die unterschiedlichen Werbeformen zeigen, wie raffiniert Onlinewerbung ist und wie schwer es selbst für Erwachsene sein kann, werbliche Inhalte als solche zu erkennen.
Wenn es nach Michael Haas geht, sollte die Förderung von medialen Kompetenzen in Schulen und bei Eltern zunehmend an Bedeutung gewinnen. Damit benennt der Medienpädagoge die in Studien häufig zitierte Medienkompetenz, die Kinder und Jugendliche benötigen, um sachgerecht mit Werbung umgehen zu können. Der Vereinsleiter hat die Dringlichkeit des Themas erkannt und geht davon aus, „dass die Kommerzialisierung weiter zunehmen wird, vor allem mit Hinblick auf die fortschreitende Technik der Künstlichen Intelligenz.”
Das war ein Auszug aus dem Projekt "#MINIINFLUENCER"
Viele Kinder und teilweise auch deren Eltern sind mittlerweile faszinierte Zuschauer*innen von Kinder-Influencern bzw. Mini-Influencern. Das sind Kinder, die auf YouTube oder Instagram ein quasi öffentliches Leben führen. Die Kanäle von Mini-Influencern wie „Alles Ava” oder „Mavie Noelle” haben bis zu 650.000 Abonnenten, sie sind also keine kleinen Fische mehr. Manche Kinder ernähren mit dem Business, das sie auf YouTube oder Instagram betreiben, bereits ihre ganze Familie. Das Phänomen Mini-Influencer taucht jetzt besonders auf der Bildschirmfläche auf, weil sie für die jünger werdende Zielgruppe – Kinder, welche YouTube konsumieren – immer interessanter werden. Und das ruft die Werbetreibenden auf den Plan.
Studierende des Politik-Gesellschaft-Ressorts sind in einem Projekt Mini-Influencern auf den Grund gegangen und haben sich mit wichtigen Fragen zu Kinderarbeit, Kinderrechten, Werbung von und für Kinder, aber auch Geschlechterrollen, Familienbildern und Cybermobbing auseinandergesetzt.
Lara Glockner
Harry Potter faszinierte sie schon als Kind und die Vorstellung, in einer verborgenen Parallelgesellschaft zu leben, zog sie magisch an. Heute, im digitalen Zeitalter, gibt es ihrer Meinung nach keinen Unterschied mehr zwischen damaliger Utopie und Realität.