Offene Bücherschränke – Bücher sind für alle da!


An zahlreichen Orten in Köln und in anderen Städten Deutschlands gehören offene Bücherschränke zur Stadtmöblierung. Bereits gelesene Bücher können dort abgegeben werden und neue Besitzer*innen finden. Die Idee hinter der Bewegung ist es einerseits, die Liebe zu Büchern zu fördern und Literatur als etwas zu betrachten, bei dem sich das Weitergeben lohnt. Gleichzeitig soll auch denjenigen Zugang zu Büchern ermöglicht werden, die nicht das nötige Geld oder ausreichend Platz dafür haben. Aber welche Bücher stehen eigentlich in den Schränken? Und wie gut wird das Konzept in Köln angenommen?

Literatur „to go“

Eine umfunktionierte Telefonzelle, ein Regal an der Hauswand oder ein wetterfester Schrank: Öffentliche Bücherschränke sind vielfältig und an den unterschiedlichsten Orten zu finden. Das Prinzip ist aber überall gleich und immer kostenlos. Passant*innen können jedes Buch einfach mitnehmen, lesen und zurückbringen oder auch gegen andere Bücher eintauschen – Leihfristen oder sonstige Bestimmungen gibt es nicht. In Deutschland existiert die Bewegung seit Beginn der 90er Jahre. Im Rahmen eines Kunstprojekts verwandelten die Künstler Michael Clegg und Martin Guttmann in Hamburg alte Stromkästen in offene Bibliotheken. Nach und nach ließen sich Bücherfreunde von der Idee inspirieren und stellten ihre eigenen kleinen Bibliotheken in der Nachbarschaft auf. 2003 eröffnete die Bürgerstiftung Bonn auf der Poppelsdorfer Allee schließlich den ersten offenen Bücherschrank Deutschlands. Mittlerweile ist das Projekt beachtlich gewachsen und zahlreiche Städte haben Bücherschränke eingeführt. Laut der Plattform OpenBookCase stehen inzwischen allein in Deutschland über 2.000 Schränke – und es werden immer mehr. 

Das Projekt Eselsohr

In Köln setzt sich die Bürgerstiftung für das Aufstellen von Bücherschränken in der Stadt ein. 2010 hat sie deshalb das „Projekt Eselsohr“ ins Leben gerufen. Der älteste Bücherschrank ist so alt wie das Projekt selbst und steht immer noch am Goltsteinforum in Bayenthal. Inzwischen gibt es über 25 Bücherschränke in Köln und es werden stetig neue beantragt. Man erkennt sie leicht an ihrem gleichbleibenden Design: Der klassische Eselsohr-Bücherschrank besteht aus wetterfestem Stahl und besitzt bruchsichere Acrylglas-Türen. Einige Schränke sind blau oder rot, die meisten haben jedoch eine graue Farbe. Innen ist Platz für 200 bis 400 Bücher. Sobald jemand einen neuen Bücherschrank innerhalb des Projekts ins Leben rufen möchte, kümmert sich die Bürgerstiftung um die Genehmigung zur Aufstellung. Anschließend übernehmen örtliche Stadtteilinitiativen, Bürgervereine, Schulen oder Privatpersonen die Patenschaft für den Bücherschrank in ihrer Nachbarschaft.

Christiane Rabbe ist Mitglied der Bürgerstiftung und unterstützt Interessent*innen bei den Anträgen für neue Bücherschränke. Für die Organisation brauche man ihrer Meinung nach vor allem Geduld: „Es ist wie ein Bauantrag“, sagt Rabbe. Nachdem die Finanzierung geprüft wurde, muss der genaue Standort festgelegt und unter anderem vom Bauverwaltungsamt genehmigt werden. Dieser Prozess könne sich durchaus ein Jahr oder länger hinziehen. Der anfängliche Aufwand sei es laut Christiane Rabbe aber wert: „Was mich manchmal so rührt, sind zum Beispiel ältere Paten, die Lesungen oder andere Veranstaltungen organisieren. Die kümmern sich alle richtig gut.“

Patenschaften für den Bücherschrank

In der Regel sind ein bis zwei Personen für einen Bücherschrank verantwortlich. Als Patinnen und Paten sorgen sie dafür, dass der Schrank ordentlich aussieht, immer genug Bücher vorhanden sind und alles, was nicht in den Schrank gehört, entsorgt wird. Anke Köwenig kümmert sich um den Schrank am Eierplätzchen in der Südstadt. Vor acht Jahren hat sie sich für die Aufstellung eines Bücherschrankes eingesetzt, um mehr Menschen im Veedel zum Lesen zu motivieren. Sie ist nach wie vor die Verantwortliche und räumt regelmäßig auf. „Die Auswahl ist manchmal ganz lustig“, schmunzelt Köwenig, „die Leute entsorgen mitunter Zeitschriften oder uralte Microsoft-Bücher, die komplett veraltet sind. Die braucht natürlich niemand.“ Vor allem zu Beginn der Corona-Krise gab es viel zu tun, da Anwohner*innen kistenweise Bücher vor dem Schrank abgestellt hatten, die kaum wiederverwendbar waren. Mittlerweile habe sich ihr Arbeitsaufwand aber verringert: „Ich muss es gar nicht mehr so oft machen wie am Anfang, weil sich die Nachbarn mit verantwortlich fühlen und den Schrank liebgewonnen haben.“

Auch Marianne Schneider vom Mehrgenerationenhaus Ledo in Nippes ist seit mehreren Jahren Bücherschrank-Patin. Sie schaut täglich beim Schrank vorbei und sortiert den Inhalt sogar nach Genres. Zu dem Ehrenamt hat auch sie ihre Liebe zu Büchern geführt: „Das Gute ist, dass ich nicht wie bei der Stadtbibliothek verlängern muss“, sagt Schneider, „und wenn ein Buch nichts ist, kann ich es einfach in den Schrank stellen und jemand anderes freut sich.“

Immer in Bewegung

Aber wie gut werden die Bücherschränke eigentlich angenommen? Wer nimmt das Angebot wahr und wie häufig wechseln die Bücher ihre Besitzer*innen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Stefan Udelhofen, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medienkultur und Theater an der Uni Köln tätig ist. Im Rahmen des Seminars „Ist das noch Literatur oder kann das weg?“ haben er und 30 Studierende die Nutzung der öffentlichen Bücherschränke Kölns untersucht. Während eines Semesters hat die Gruppe jede Woche alle Bücher verschiedener Schränke inventarisiert und analysiert. Schließlich wurden die Ergebnisse ausgewertet und erste Vermutungen formuliert. Eine Erkenntnis war, dass die Bücherschränke insgesamt sehr gern genutzt werden, auch wenn sich die Beliebtheit der einzelnen Schränke stark unterscheidet. Über die Hälfte der eingestellten Bücher findet innerhalb einer Woche neue Leserinnen und Leser.

Am erfolgreichsten war dabei der Bücherschrank in der Körnerstraße in Ehrenfeld. Das Ergebnis hat auch Stefan Udelhofen überrascht: „Die etwa 250 Bücher waren innerhalb einer Woche verschwunden und es waren im gleichen Umfang neue Bücher da, was sehr bemerkenswert war.“ Den Erfolg führt Udelhofen vor allem auf die zentrale Lage des Bücherschrankes zurück. So werden Bücherschränke, die unübersehbar an öffentlichen Orten stehen, besser angenommen als die, die z.B. in Einkaufspassagen versteckt sind. Auch die Ordnung innerhalb des Schrankes sei ausschlaggebend für seine Beliebtheit – übervolle Regale und Unordnung seien eher abschreckend und würden dafür sorgen, dass weniger Bücher getauscht werden.

Von Konsalik bis Jojo Moyes

Laut Stefan Udelhofen befinden sich die verschiedensten Bücher in den Schränken. Es warten sowohl versteckte Schätze als auch witzige Fundstücke auf zukünftige Leser*innen. Gleichzeitig spiegelt das Angebot ziemlich exakt die Struktur des deutschen Buchmarkts wider: Die meisten Bücher gehören zur Belletristik, besonders häufig sind Krimis und Liebesromane zu finden. Das sei wenig überraschend, meint Stefan Udelhofen: „Krimis sind die prädestinierte belletristische Literatur für Bücherschränke. Denn wer liest einen Krimi nochmal, wenn er schon weiß, wie er ausgeht?“ Auch das Alter der Bücher sei ganz unterschiedlich, wobei die meisten aus den 80ern, 90ern und 2000ern stammen. Deutlich ältere sowie aktuelle Literatur finde man auch in den Bücherschränken, allerdings wesentlich seltener.

Entgegen anfänglicher Vermutungen ist der Großteil der Bücher sehr gut erhalten, was vielleicht auch mit den Patinnen und Paten zu tun hat. Abgesehen davon stößt man aber häufig auf Erinnerungen an vorherige Besitzer*innen: Persönliche Widmungen oder Randnotizen weisen auf das frühere Leben der Bücher hin. Anke Köwenig erinnert sich an ein witziges Erlebnis: „Mir ist es schon mal passiert, dass ich ein Buch aus dem Schrank geholt habe und es ist ein Foto rausgefallen. Das Bild war von einer Freundin von mir, die es als Lesezeichen benutzt und vergessen hat, als sie das Buch in den Schrank gestellt hat.“

Welche Bücher verstecken sich wohl im Schrank?

Orte der Begegnung

Die Orte, an denen die Bücherschränke stehen, verändern sich. Denn hier geht es um mehr als das reine Abstellen und Austauschen von alten Büchern. Menschen kommen miteinander ins Gespräch und geben sich Leseempfehlungen. Diese Rolle als Kommunikationsort fasziniert den Stadtplaner und Bücherschrank-Designer Hans-Jürgen Greve besonders. Auf seiner Website urbanlife schreibt er dazu: „Auch ohne dass ich einen Hund habe, darf ich am Schrank einfach mal mit jemandem in Kontakt treten. Ohne Vorwarnung ins Gespräch gehen. Was wird daraus? Einfach nur ein flüchtiger Kontakt oder mehr? Das sind die noch ungeahnten Qualitäten der neuen Orte.“ Auch Marianne Schneider trifft beim Aufräumen ihres Bücherschrankes immer wieder neue Leute. Die Unterhaltungen seien stets nett und positiv. Ein Erlebnis ist ihr besonders in Erinnerung geblieben: „Einmal wurde ich von einer älteren Dame angesprochen, die gesagt hat: ‚Haben Sie denn gar keine Groschenromane? Ich liebe die einfach, Bücher sind mir immer zu dick und zu schwer.‘ Seitdem lasse ich die extra drin und witzigerweise sind sie auch immer schnell weg.“ Die Bürgerstiftung möchte diesen Austausch zukünftig noch mehr fördern und beispielsweise Lesungen, Festivals und andere Veranstaltungen an den Bücherschränken organisieren. Außerdem wird überlegt, die Schränke mit QR-Codes auszustatten, über die zum Beispiel Geschichten aus dem jeweiligen Viertel abgespielt werden können.

Wo stehen die Bücherschränke?

Offene Bücherschränke gibt es inzwischen fast in ganz Köln. Auf der Karte unten seht ihr, wo sich der nächste Bücherschrank befindet und wie er aussieht. Viel Spaß beim Schmökern!

Über das Projekt

Bewegungen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, haben eins gemeinsam: Sie verbinden Menschen mit gemeinsamen Interessen, greifen Probleme auf und agieren öffentlichkeitswirksam gegen Missstände. Von Black Lives Matter über Klimaschutz bis hin zu den verschiedenen Strömungen der Frauenbewegung: Jede*r kommt in seinem oder ihrem Alltag mit Formen von Bewegungen in Berührung.

Die Studierenden im Webprojekt 2020/21 haben deswegen die unterschiedlichsten Arten von gesellschaftlichen Bewegungen genauer unter die Lupe genommen und ihre Ergebnisse in einem eigenen Webmagazin umgesetzt.

Hanna Kynaß

Hannah Kynaß

Hannah liebt Bücher – besonders ihre Fähigkeit, uns für einen Moment in eine andere Welt zu transportieren. Im Bücherschrank um die Ecke entdeckt sie immer wieder neue Lieblinge und wollte sich deshalb genauer mit der Bewegung und den Menschen dahinter beschäftigen.

Quellen und Bildrechte

 

In unserem Magazin geben wir Studierende regelmäßig Einblicke in unser Studium und die Arbeitswelt von Alumnis. In der Kategorie

wollen wir euch zeigen, was wir im Laufe des Studiums alles erarbeiten. Darunter fallen beispielsweise (Web-)Projekte, journalistische Texte, Multimedia-Produktionen und noch vieles mehr.

Folgende Schlagwörter finden wir aus dem Redaktionsteam für diesen Beitrag relevant: 

Offene Bücherschränke – Bücher sind für alle da!

In dieser Kategorie wollen wir euch jeweils einzelne Auszüge zeigen, die in einem unserer Projekte entstanden sind – zum Beispiel einen einzelnen Text oder ein Video. Ursprünglich sind diese Stücke also in den Projekt-Websites entstanden, aber wir möchten sie hier zusätzlich featuren. 


An zahlreichen Orten in Köln und in anderen Städten Deutschlands gehören offene Bücherschränke zur Stadtmöblierung. Bereits gelesene Bücher können dort abgegeben werden und neue Besitzer*innen finden. Die Idee hinter der Bewegung ist es einerseits, die Liebe zu Büchern zu fördern und Literatur als etwas zu betrachten, bei dem sich das Weitergeben lohnt. Gleichzeitig soll auch denjenigen Zugang zu Büchern ermöglicht werden, die nicht das nötige Geld oder ausreichend Platz dafür haben. Aber welche Bücher stehen eigentlich in den Schränken? Und wie gut wird das Konzept in Köln angenommen?

Literatur „to go“

Eine umfunktionierte Telefonzelle, ein Regal an der Hauswand oder ein wetterfester Schrank: Öffentliche Bücherschränke sind vielfältig und an den unterschiedlichsten Orten zu finden. Das Prinzip ist aber überall gleich und immer kostenlos. Passant*innen können jedes Buch einfach mitnehmen, lesen und zurückbringen oder auch gegen andere Bücher eintauschen – Leihfristen oder sonstige Bestimmungen gibt es nicht. In Deutschland existiert die Bewegung seit Beginn der 90er Jahre. Im Rahmen eines Kunstprojekts verwandelten die Künstler Michael Clegg und Martin Guttmann in Hamburg alte Stromkästen in offene Bibliotheken. Nach und nach ließen sich Bücherfreunde von der Idee inspirieren und stellten ihre eigenen kleinen Bibliotheken in der Nachbarschaft auf. 2003 eröffnete die Bürgerstiftung Bonn auf der Poppelsdorfer Allee schließlich den ersten offenen Bücherschrank Deutschlands. Mittlerweile ist das Projekt beachtlich gewachsen und zahlreiche Städte haben Bücherschränke eingeführt. Laut der Plattform OpenBookCase stehen inzwischen allein in Deutschland über 2.000 Schränke – und es werden immer mehr. 

Das Projekt Eselsohr

In Köln setzt sich die Bürgerstiftung für das Aufstellen von Bücherschränken in der Stadt ein. 2010 hat sie deshalb das „Projekt Eselsohr“ ins Leben gerufen. Der älteste Bücherschrank ist so alt wie das Projekt selbst und steht immer noch am Goltsteinforum in Bayenthal. Inzwischen gibt es über 25 Bücherschränke in Köln und es werden stetig neue beantragt. Man erkennt sie leicht an ihrem gleichbleibenden Design: Der klassische Eselsohr-Bücherschrank besteht aus wetterfestem Stahl und besitzt bruchsichere Acrylglas-Türen. Einige Schränke sind blau oder rot, die meisten haben jedoch eine graue Farbe. Innen ist Platz für 200 bis 400 Bücher. Sobald jemand einen neuen Bücherschrank innerhalb des Projekts ins Leben rufen möchte, kümmert sich die Bürgerstiftung um die Genehmigung zur Aufstellung. Anschließend übernehmen örtliche Stadtteilinitiativen, Bürgervereine, Schulen oder Privatpersonen die Patenschaft für den Bücherschrank in ihrer Nachbarschaft.

Christiane Rabbe ist Mitglied der Bürgerstiftung und unterstützt Interessent*innen bei den Anträgen für neue Bücherschränke. Für die Organisation brauche man ihrer Meinung nach vor allem Geduld: „Es ist wie ein Bauantrag“, sagt Rabbe. Nachdem die Finanzierung geprüft wurde, muss der genaue Standort festgelegt und unter anderem vom Bauverwaltungsamt genehmigt werden. Dieser Prozess könne sich durchaus ein Jahr oder länger hinziehen. Der anfängliche Aufwand sei es laut Christiane Rabbe aber wert: „Was mich manchmal so rührt, sind zum Beispiel ältere Paten, die Lesungen oder andere Veranstaltungen organisieren. Die kümmern sich alle richtig gut.“

Patenschaften für den Bücherschrank

In der Regel sind ein bis zwei Personen für einen Bücherschrank verantwortlich. Als Patinnen und Paten sorgen sie dafür, dass der Schrank ordentlich aussieht, immer genug Bücher vorhanden sind und alles, was nicht in den Schrank gehört, entsorgt wird. Anke Köwenig kümmert sich um den Schrank am Eierplätzchen in der Südstadt. Vor acht Jahren hat sie sich für die Aufstellung eines Bücherschrankes eingesetzt, um mehr Menschen im Veedel zum Lesen zu motivieren. Sie ist nach wie vor die Verantwortliche und räumt regelmäßig auf. „Die Auswahl ist manchmal ganz lustig“, schmunzelt Köwenig, „die Leute entsorgen mitunter Zeitschriften oder uralte Microsoft-Bücher, die komplett veraltet sind. Die braucht natürlich niemand.“ Vor allem zu Beginn der Corona-Krise gab es viel zu tun, da Anwohner*innen kistenweise Bücher vor dem Schrank abgestellt hatten, die kaum wiederverwendbar waren. Mittlerweile habe sich ihr Arbeitsaufwand aber verringert: „Ich muss es gar nicht mehr so oft machen wie am Anfang, weil sich die Nachbarn mit verantwortlich fühlen und den Schrank liebgewonnen haben.“

Auch Marianne Schneider vom Mehrgenerationenhaus Ledo in Nippes ist seit mehreren Jahren Bücherschrank-Patin. Sie schaut täglich beim Schrank vorbei und sortiert den Inhalt sogar nach Genres. Zu dem Ehrenamt hat auch sie ihre Liebe zu Büchern geführt: „Das Gute ist, dass ich nicht wie bei der Stadtbibliothek verlängern muss“, sagt Schneider, „und wenn ein Buch nichts ist, kann ich es einfach in den Schrank stellen und jemand anderes freut sich.“

Immer in Bewegung

Aber wie gut werden die Bücherschränke eigentlich angenommen? Wer nimmt das Angebot wahr und wie häufig wechseln die Bücher ihre Besitzer*innen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Stefan Udelhofen, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medienkultur und Theater an der Uni Köln tätig ist. Im Rahmen des Seminars „Ist das noch Literatur oder kann das weg?“ haben er und 30 Studierende die Nutzung der öffentlichen Bücherschränke Kölns untersucht. Während eines Semesters hat die Gruppe jede Woche alle Bücher verschiedener Schränke inventarisiert und analysiert. Schließlich wurden die Ergebnisse ausgewertet und erste Vermutungen formuliert. Eine Erkenntnis war, dass die Bücherschränke insgesamt sehr gern genutzt werden, auch wenn sich die Beliebtheit der einzelnen Schränke stark unterscheidet. Über die Hälfte der eingestellten Bücher findet innerhalb einer Woche neue Leserinnen und Leser.

Am erfolgreichsten war dabei der Bücherschrank in der Körnerstraße in Ehrenfeld. Das Ergebnis hat auch Stefan Udelhofen überrascht: „Die etwa 250 Bücher waren innerhalb einer Woche verschwunden und es waren im gleichen Umfang neue Bücher da, was sehr bemerkenswert war.“ Den Erfolg führt Udelhofen vor allem auf die zentrale Lage des Bücherschrankes zurück. So werden Bücherschränke, die unübersehbar an öffentlichen Orten stehen, besser angenommen als die, die z.B. in Einkaufspassagen versteckt sind. Auch die Ordnung innerhalb des Schrankes sei ausschlaggebend für seine Beliebtheit – übervolle Regale und Unordnung seien eher abschreckend und würden dafür sorgen, dass weniger Bücher getauscht werden.

Von Konsalik bis Jojo Moyes

Laut Stefan Udelhofen befinden sich die verschiedensten Bücher in den Schränken. Es warten sowohl versteckte Schätze als auch witzige Fundstücke auf zukünftige Leser*innen. Gleichzeitig spiegelt das Angebot ziemlich exakt die Struktur des deutschen Buchmarkts wider: Die meisten Bücher gehören zur Belletristik, besonders häufig sind Krimis und Liebesromane zu finden. Das sei wenig überraschend, meint Stefan Udelhofen: „Krimis sind die prädestinierte belletristische Literatur für Bücherschränke. Denn wer liest einen Krimi nochmal, wenn er schon weiß, wie er ausgeht?“ Auch das Alter der Bücher sei ganz unterschiedlich, wobei die meisten aus den 80ern, 90ern und 2000ern stammen. Deutlich ältere sowie aktuelle Literatur finde man auch in den Bücherschränken, allerdings wesentlich seltener.

Entgegen anfänglicher Vermutungen ist der Großteil der Bücher sehr gut erhalten, was vielleicht auch mit den Patinnen und Paten zu tun hat. Abgesehen davon stößt man aber häufig auf Erinnerungen an vorherige Besitzer*innen: Persönliche Widmungen oder Randnotizen weisen auf das frühere Leben der Bücher hin. Anke Köwenig erinnert sich an ein witziges Erlebnis: „Mir ist es schon mal passiert, dass ich ein Buch aus dem Schrank geholt habe und es ist ein Foto rausgefallen. Das Bild war von einer Freundin von mir, die es als Lesezeichen benutzt und vergessen hat, als sie das Buch in den Schrank gestellt hat.“

Welche Bücher verstecken sich wohl im Schrank?

Orte der Begegnung

Die Orte, an denen die Bücherschränke stehen, verändern sich. Denn hier geht es um mehr als das reine Abstellen und Austauschen von alten Büchern. Menschen kommen miteinander ins Gespräch und geben sich Leseempfehlungen. Diese Rolle als Kommunikationsort fasziniert den Stadtplaner und Bücherschrank-Designer Hans-Jürgen Greve besonders. Auf seiner Website urbanlife schreibt er dazu: „Auch ohne dass ich einen Hund habe, darf ich am Schrank einfach mal mit jemandem in Kontakt treten. Ohne Vorwarnung ins Gespräch gehen. Was wird daraus? Einfach nur ein flüchtiger Kontakt oder mehr? Das sind die noch ungeahnten Qualitäten der neuen Orte.“ Auch Marianne Schneider trifft beim Aufräumen ihres Bücherschrankes immer wieder neue Leute. Die Unterhaltungen seien stets nett und positiv. Ein Erlebnis ist ihr besonders in Erinnerung geblieben: „Einmal wurde ich von einer älteren Dame angesprochen, die gesagt hat: ‚Haben Sie denn gar keine Groschenromane? Ich liebe die einfach, Bücher sind mir immer zu dick und zu schwer.‘ Seitdem lasse ich die extra drin und witzigerweise sind sie auch immer schnell weg.“ Die Bürgerstiftung möchte diesen Austausch zukünftig noch mehr fördern und beispielsweise Lesungen, Festivals und andere Veranstaltungen an den Bücherschränken organisieren. Außerdem wird überlegt, die Schränke mit QR-Codes auszustatten, über die zum Beispiel Geschichten aus dem jeweiligen Viertel abgespielt werden können.

Wo stehen die Bücherschränke?

Offene Bücherschränke gibt es inzwischen fast in ganz Köln. Auf der Karte unten seht ihr, wo sich der nächste Bücherschrank befindet und wie er aussieht. Viel Spaß beim Schmökern!

Über das Projekt

Bewegungen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, haben eins gemeinsam: Sie verbinden Menschen mit gemeinsamen Interessen, greifen Probleme auf und agieren öffentlichkeitswirksam gegen Missstände. Von Black Lives Matter über Klimaschutz bis hin zu den verschiedenen Strömungen der Frauenbewegung: Jede*r kommt in seinem oder ihrem Alltag mit Formen von Bewegungen in Berührung.

Die Studierenden im Webprojekt 2020/21 haben deswegen die unterschiedlichsten Arten von gesellschaftlichen Bewegungen genauer unter die Lupe genommen und ihre Ergebnisse in einem eigenen Webmagazin umgesetzt.

Hanna Kynaß

Hannah Kynaß

Hannah liebt Bücher – besonders ihre Fähigkeit, uns für einen Moment in eine andere Welt zu transportieren. Im Bücherschrank um die Ecke entdeckt sie immer wieder neue Lieblinge und wollte sich deshalb genauer mit der Bewegung und den Menschen dahinter beschäftigen.

Quellen und Bildrechte

 

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